koreanische Literatur.

koreanische Literatur.
koreanische Literatur.
 
Bis zur Einführung der koreanischen Schrift (Mitte 15. Jahrhundert) wurde das literarische Kulturgut Koreas in chinesischer Sprache und Schrift überliefert (ein Großteil des Landes bildete 108 v. Chr. bis 313 n. Chr. die chinesische Präfektur Luolang).
 
Die ältesten Zeugnisse altkoreanischer Dichtung sind Kultgesänge (zum Teil für die schamanistischen Rituale); sie sind nur fragmentarisch in chinesischer Übersetzung erhalten. Die literarische Tradition in koreanischer Sprache beginnt in der Zeit des Vereinten Silla (668-935) mit den Hyangga (»heimische Lieder«, auch Saenaennorae, »Lieder des Ostens«, d. h. Koreas, genannt), in denen sich nationales Selbstbewusstsein, aber auch der konfuzianische und buddhistische Geist der chinesischen Tangkultur widerspiegeln, Letzterer besonders in den späten Hyangga des Priesters Kyunyŏ (* 923, ✝ 973). Die 25 überlieferten mehrstrophigen Hyangga wurden in späteren Werken wie dem Samguk-yusa (13. Jahrhundert) und dem »Kyunyŏ-chŏn« (1075) mit teils laut-, teils sinnwertig verwendeten chinesischen Zeichen niedergeschrieben.
 
Während der Koryǒperiode (918-1392), in der das Interesse an der chinesischen Dichtung der Tangzeit zunahm und der Buddhismus zur Staatsreligion wurde, wurden die Hyangga vom stark mit chinesischen Lehnwörtern durchsetzten und besonders in Hofkreisen (in der Form des Kyŏnggich'ega) gepflegten Changga (Langgedicht) abgelöst. Dagegen besang das Sogyo (Volkslied) das Leben des einfachen Volkes. Nur zwölf dieser vor Lebensfreude überschäumenden Lieder überdauerten den sittenstrengen Konfuzianismus der Chosŏndynastie. Das Kurzgedicht (Sijo) begann sich während der Koryŏzeit zu entwickeln, gewann aber erst nach Einführung der koreanischen Schrift seine besondere Beliebtheit. Neben der chinesisch geschriebenen Sachliteratur dieser Epoche erschienen auch Sammlungen volkstümlicher Erzählungen aus Korea in chinesischer Übersetzung.
 
Unter der streng konfuzianisch orientierten Chosŏndynastie (1392-1910) nahm trotz des Vorherrschens der chinesischen Schriftkultur eine eigenständige koreanische Nationalliteratur deutlich Gestalt an. Sie erhielt starke Impulse durch das Reformwerk des Königs Sejong (1419-50), der 1443 durch die Einführung einer leicht erlernbaren Buchstabenschrift (Hunmin-chŏngŭm) die Entwicklung einer Volksliteratur einzuleiten versuchte. Obgleich in der neuen Schrift abgefasste Lobgedichte auf die Gründer der Dynastie (»Yongbi-ŏch'ŏnga«, 1445) und auf Buddha (»Sŏkpo-sangjŏl«, 1447; »Wŏrin-ch'ŏngang-chigok«, 1449, vom König selbst verfasst) erschienen, bevorzugten die Literaten weiterhin die chinesische Schriftsprache. Die neue Schrift fand früh Eingang in die Lyrik, so in die Akchang (lyrische Gesänge mit Musikbegleitung), die Kasa (Verserzählungen) und v. a. in das Kurzgedicht Sijo.
 
Das umfangreiche Sachschrifttum philosophischer, historischer, medizinischer, geographischer und enzyklopädischer Art wurde ausschließlich in chinesischer Sprache verfasst. Auch der größte Teil der Erzählliteratur bediente sich dieser Sprache, so die beliebten Geschichten- und Anekdotensammlungen und die auf chinesischen Vorbildern beruhenden Erzählungen, darunter das fragmentarisch überlieferte »Kumo Sinhwa« des Kim Sisup (* 1435, ✝ 1493), das als erstes Denkmal der koreanischen Novellenliteratur gilt. Erst im 16. Jahrhundert setzte sich die Erzählprosa in koreanischer Sprache durch. Besonders bekannt wurden der Räuberroman »Hong-Kiltong-chŏn« des Hŏ Kyun (* 1569, ✝ 1618), in dem soziale Missstände angeprangert werden, und die romantische Geschichte »Kuunmong« des Kim Manjung (* 1637, ✝ 1692), die im China der Tangzeit spielt, vom Geist des Taoismus und Buddhismus geprägt ist und als erster großer koreanischer Roman angesehen wird. Als berühmtester Roman des vormodernen Korea gilt das »Ch'unhyang-chŏn« eines anonymen Autors, eine Liebesgeschichte, in der freie Gattenwahl und die Beseitigung der Klassenschranken thematisiert werden und die die sozialen Spannungen der späten Chosŏnperiode widerspiegelt. Viel gelesen wurde auch das anonyme »Imjinnok«, die Geschichte des heldenhaften Kampfes gegen die japanische Invasion 1592. Neben diesen populären Schriften einer - von den Gelehrten gering geschätzten - Volksliteratur entwickelte sich auch eine höfische Memoirenliteratur in koreanischer Sprache, in der das Hoftagebuch der Prinzessin Hyegyŏng (* 1735, ✝ 1815), das »Hanjungnok«, herausragt.
 
Als Korea mit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts in das politische Spiel der Großmächte einbezogen wurde und sich der Außenwelt öffnen musste, begann ein neues literarisches Zeitalter, in dem die realistische Darstellung der Wirklichkeit in den Vordergrund trat und zunehmend auch die koreanische Umgangssprache in die Literatur Eingang fand. Yi Injik (* 1862, ✝ 1916), Yi Haejo (* 1869, ✝ 1927), An Kuksŏn (* 1854, ✝ 1928), Yi Sanghyŏp (* 1893, ✝ 1957) u. a. schufen den »neuen Roman« (Sinsosŏl), mit dem sie gegen die überlebte Feudalgesellschaft und für die westlichen Ideale der Demokratie, Gleichheit, Menschenwürde und religiösen Freiheit kämpften, Ideale, die ihnen häufig über die zeitgenössische japanische Literatur vermittelt wurden. Das literarische Werk des Ch'oe Namsŏn (* 1890, ✝ 1957) bahnte der Lyrik neue Wege. Yi Kwangsu (* 1892, ✝ 1950) gilt als bedeutendster Romancier der Neuzeit, sein Roman »Mujŏng« (1917) als Meisterwerk des Sinsosŏl.
 
Durch Vermittlung Japans wurden während der Kolonialzeit (1910-45) die Stilrichtungen der westlichen Literatur in Korea bekannt. Fast gleichzeitig entwickelten sich romantische, naturalistische und symbolistische Strömungen. Das Aufbegehren gegen die japanische Besatzungsmacht und deren Pressionen fand literarischen Niederschlag v. a. in der volkstümlichen Lyrik von Kim Sowŏl (* 1902, ✝ 1935), aber auch in avantgardistischen Texten von Yi Sang (* 1910, ✝ 1937), der visionär die mit dem Angriff Japans auf China (1937) einsetzende dunkelste Epoche der koreanischen Geschichte vorwegnahm. Eine grundlegende Polarisierung der koreanischen Literatur trat mit der Gründung der Föderation proletarischer Künstler Koreas (KAPF) 1925 ein, die über die 1945 erreichte staatliche Unabhängigkeit Koreas hinaus wirkte.
 
In der Literatur des sozialistischen Realismus in Nord-Korea blieb die Parteilichkeit der Literatur bestimmend. In Süd-Korea wird die Diskussion über das Verhältnis von »reiner Literatur« und »Tendenzliteratur« fortgesetzt. Die Teilung des Landes und der Koreakrieg (1950-53) mit seinen Auswirkungen haben lange die Thematik bestimmt. Historische Romane suchen die Wurzeln der gegenwärtigen Situation zu ergründen. Pak Kyŏngni (* 1927) genießt durch ihre Familienromane hohes Ansehen.
 
Die Minjung-(»Volksmassen«-)Literatur sucht bewusst die Auseinandersetzung auch mit dem sozialistischen Realismus im N. Zu den Vertretern einer eingreifenden und engagierten Volkslyrik gehören der auch international bekannte Kim Chiha (* 1941), Un Ko (* 1933), Si-Young Lee (* 1949) und Kyong-Rim Shin (* 1935). Aber auch andere eigenständige Konzepte (u. a. bei Kwang-Kyu Kim, * 1941; Tong-Gyu Hwang, * 1938) mit formexperimenteller Lyrik, vieldeutiger Bildsprache und dem Einbeziehen buddhistischer wie westlicher Denkweisen, das Aufgreifen ökologischer oder existenzieller Fragen deuten einen Wandel in der koreanischen Gegenwartsliteratur an. Wachsende thematische Vielfalt zeigt sich auch in der noch immer stark von einer realistischen Schreibweise geprägten Prosa, in der neben einer allgemein gültigeren Gestaltung der monumentalen Themen Krieg und Kampf für Demokratie übergreifende Fragestellungen, Probleme der Arbeitswelt, der Industriegesellschaft u. a. thematisch gestaltet werden (Mun-Yol Yi, * 1948; Won-Il Kim, * 1942; Jung-Hee Oh, * 1947; Chun-Jun Lee, * 1939; Joo-Young Kim, * 1939).
 
Durch aktive Rezeption der literarischen Tradition, überkommener Lebensvorstellungen und Wertebeziehungen wird eine wachsend kritische Haltung zu fremden Einflüssen bestimmend, was der Nationalliteratur neue Impulse gibt.
 
Anthologien: Unter dem Odongbaum. Koreanische Sagen, Märchen und Fabeln, herausgegeben von A. Eckardt (Eisenach 1951); Kranich am Meer. Koreanische Gedichte, herausgegeben von P. H. Lee (1959); Virtuous women, übersetzt von R. Rutt u. a. (Seoul 1974); Koreanische Literatur. Ausgewählte Erzählungen, herausgegeben von K.-S. Kuh, 3 Bände (1986-88); Märchen aus Korea, übersetzt und herausgegeben von H.-J. Zaborowski (1988).
 
 
P. H. Lee: Korean literature. Topics and themes (Tucson, Ariz., 1965);
 W. E. Skillend: Korean literature, in: A guide to Eastern literatures, hg. v. D. M. Lang (New York 1971);
 T. I. Kim: A bibliographical guide to traditional Korean sources (Seoul 1976);
 I. S. Zŏng: A guide to Korean literature (Elizabeth, N. J., 21983);
 H.-J. Zaborowski u. a. in: Neues Hb. der Literaturwiss., hg. v. K. von See, Bd. 23 (1984);
 
Tradition u. Experiment. Beispiele zeitgenöss. k. L., hg. v. H.-J. Zaborowski (a. d. Korean., 1985);
 M. Königsberg: Lit. der korean. Minderheit in Japan (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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